Historischer Rückblick
Ursprünglich war Wein ein rein aus vergorenem Traubensaft hergestelltes alkoholisches Getränk. Schon zur Zeit der Römer und alten Griechen hat man dem Wein zur Verlängerung der Haltbarkeit und Lagerfähigkeit mittels Konservierungsmittel einen Oxidationsschutz zugefügt. Schwefel und Harz waren damals in Verwendung und werden auch noch heute verwendet.
Rückblickend betrachtet war der Zugang zur Herstellung von Wein bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts sehr „natural“.
Der „moderne“ Wein
In den 70er Jahren ist in Europa schließlich die „moderne Revolution“ auf breiter Front eingezogen. Altbewährtes wurde abgelehnt, völlig neue Materialien wurden in fast alle Bereiche eingeführt. Fenster und Möbel aus Kunststoff verdrängten Gediegenes aus Eichenholz, Lackschuhe aus Plastik galten als chic, Fertigbabynahrung verdrängte die Muttermilch usw.
Ja, und auch in der Weinwelt blieb kein Stein auf dem anderen. Ohne „hohe“ Kellertechnik war Wein nicht mehr salonfähig. Weinstein in der Flasche war ein No-go, unfiltrierte Weine undenkbar, Geschmacks- und Stilrichtungen wurden vergattert. Es wurde vorgegeben wie Wein auszusehen und wie Wein zu schmecken hat. Dieser Vorgabe entsprechend wurde und wird Wein „gemacht“.
Ein fälschlicher Gedanke von rein und sauber setzte sich immer mehr durch. In Wahrheit war es eine Pseudo-Reinheit und Pseudo-Sauberkeit, da man dieses neue Weinideal nur durch „Verunreinigung“ des Weines mit weinfremden Mitteln erreicht.
Glykolskandal – ein Kind der Idelogie des „Weindesignens“?
Dieser Wahn des Weindesignens führte bei manchen Produzenten dazu, dass sie auf die Idee kamen, Wein (fast) ohne Trauben herzustellen: Glykolwein und dann glücklicherweise Glykolskandal.
Nach dem Glykolskandal gab es von der Weinwirtschaft keine 180° Kehrtwende. Man hat lediglich erkannt, dass Pantschereien, also Erzeugung von Wein aus anderen Rohmaterialien als
aus Weintrauben, absolut abzulehnen ist.
Durch das Erlassen des sogenannten strengsten Weingesetzes hat man der Ideologie von der „Reinheit“, von der „Sauberkeit“ und von der „geschmacklichen Vergatterung“ des Weins noch mehr Gewicht gegeben. Allerdings ist festzuhalten, dass man diesen Weinstil nur durch den Einsatz von weinfremden Mitteln (Schönungsmitteln) und durch High-Tech erreicht.
Wein als uniformes Industrieprodukt
Diese neue Weinphilosophie bewirkte, dass das Kulturgut Wein zu einem uniformen Produkt wurde. Es wird vorgegeben, wie Wein zu schmecken hat, wie Wein auszusehen hat, gleichsam eine „Limonadisierung“. Durch die Hochlobung von Parker zum „Weingott“ wurde die globale Limonadisierung verstärkt und zementiert.
Solche Weine sind ein Industrieprodukt. Bei solchen Weinen kann man nicht mehr von einem Kulturgut sprechen. Wein als Kulturgut spiegelt den Boden, den Jahrgang und die Handschrift des Winzers wider. Wein sollte immer anders und diesen zu entdecken, ein Abenteuer sein.
Die neue Stilrichtung spielt natürlich der Zulieferindustrie in die Hand.
Erstarken von Gegenströmungen
Weinbauern, die sich dem Kulturgut Wein verpflichtet fühlten und im neuen Trend keinen Sinn und keinen Vorteil sahen, weder für sich noch für den Konsumenten , haben nicht mitgespielt und sich dagegen gestemmt. Mit der Zeit begannen sich Gegenströmungen herauszukristallisieren.
Begonnen hat es in erster Linie in Frankreich mit „vin natur“- Zusammenschlüssen in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Definitionen. Der Geist der Gegenbewegung zur uniformen Industrialisierung hat viele Väter und Mütter. Den Durchbruch der Rückbesinnung auf das Kulturgut Wein haben die internationale Vernetzung mittels Internet und internationale Natural Weinmessen erleichtert.
Naturweine im Aufwind
Gegenwärtig ist die Akzeptanz von „natural“ so stark, dass fast jeder „natural“ sein will. Die Gründe hierfür sind wieder vielfältig. Das bringt für den Konsumenten das Problem mit sich, zu erkennen was eigentlich Naturwein ist.
Ist Bio-Wein/ Demeter-Wein mit Naturwein gleichzusetzen?
Man könnte sagen, letztendlich ist alles eine Frage der Definition. Was in gewisser Weise natürlich stimmt. Daher gibt es ja von jedem Zusammenschluss und von jeder Organisation Definitionen mit klaren Richtlinien, die man nachlesen kann. Man kann feststellen, dass bei der Herstellung von Bioweinen ziemlich viel erlaubt ist, bei Demeter schon weit weniger, aber doch noch einiges.
Dann gibt es auch noch Weine, die puritanischer als Demeter-Weine sind. Für solche Weine hat man begonnen den Begriff „Naturwein“, „Natural Wine“ und „vin natur“ zu verwenden. Dieser Begriff war lange nicht geregelt und ist auch jetzt noch nicht klar geregelt. Denn Definitionen wie „so wenig wie möglich“ oder „nur so viel wie notwendig“ sind in Wahrheit keine Regelung und erlauben, Produkte als natural auszuweisen, die von der Assoziation des Kunden mit dem Begriff „natural“ weit abweichen.
Das Problem ist in diesem Fall der „Diebstahl“ des Begriffs. In der menschlichen Mitteilung bin ich an die Sprache und somit an Wörter gebunden. Wenn die Bezeichnungen „natural“, „pur“ oder „puritanisch“ verwässert werden, ist es schwierig Wörter zu finden, mit denen man einen echten Naturwein bezeichnet.
Was ist nun nach meiner Auffassung ein echter Naturwein?
Weingarten
Wein wird aus Weintrauben hergestellt, diese wachsen auf einem Weinstock. Ich muss daher bei der Definition von Naturwein im Weingarten beginnen.
Die Minimalanforderung im Weingarten muss die Einhaltung der Bio-Richtlinien sein. Also keine Verwendung von Mineraldüngern, keine Herbizide und keine Verwendung von systemischen Fungiziden.
In Bezug auf Insektizide muss es eine Abweichung zu den Biorichtlinien geben. Zur Herstellung von Naturwein sollten absolut keine Insektizide verwendet werden dürfen.
Zur Info: Im Bioweinbau sind gewisse Substanzen gegen tierische Schädlinge erlaubt.
Warum keine Anwendung dieser Substanzen im „Naturweinbau“?
Tierische Schädlinge im Weinbau sind nur dann ein Problem, wenn der Weingarten zu viel Monokultur mit zu wenig Biodiversität ist. Ab einer gewissen Biodiversität werden tierische Schädlinge wirtschaftlich nicht mehr schlagend, weil es zu jedem „Schädling“ einen natürlichen Gegenspieler gibt.
Weiters haben in einem Weingarten von einem Naturweinproduzenten verzinkte Stahlsäulen nichts verloren. In unseren Breiten wachsen, Eichen, Kastanien und Akazien in großer Zahl, die bestens geeignetes Holz für Weingartensäulen liefern. Man führe sich vor Augen wie viele unnatürliche und Natur zerstörende Prozesse mit der Produktion von verzinkten Stahlsäulen einhergehen. Obendrein ist es schade um den Rohstoff Stahl, diesen für etwas zu verwenden, wo es im Sinne von Nachhaltigkeit besseren Ersatz gibt.
Vinifikation (Weinbereitung)
Die Traube bzw. Beere enthält alles, dass aus dem Traubensaft Wein entstehen kann. Man muss dem Wein nichts hinzufügen und auch nichts wegnehmen, um bekömmlichen, gut schmeckenden Wein zu erhalten. Es sind also weder Reinzuchthefen notwendig, um eine saubere Gärung zu haben, noch muss man Tannine mit Schönungsmitteln glattschleifen, noch Fremdsäuren hinzufügen, um dem Wein ein „Rückgrat“ zu geben, noch, noch, noch,……
Der Winzer ist nur Weichensteller und gibt dem Wein die erforderliche Zeit auf seinem Weg zum „Erwachsenwerden“.
Aus meiner Sicht sind auch „harte“ technische Eingriffe abzulehnen. Der Wein sollte sanft behandelt werden, um die natürliche Struktur zu bewahren. Damit sind nicht nur Eingriffe wie Umkehrosmose, Ionentauscher etc. gemeint, sondern auch Einsätze von Füllmaschinen, die den Wein „durchpeitschen“, um in kurzer Zeit möglichst viele Flaschen zu füllen.
Die Erhaltung der natürlichen Struktur ist für die Bewahrung der Bekömmlichkeit des Weines und für die Haltbarkeit des Weins sehr wichtig. Es ist empirisch doch eindeutig, dass die „Lebendigkeit“, also der verwertbare Energiegehalt (Bioverfügbarkeit) eines Nahrungsmittels bei wissenschaftlich gleichem Nährstoffgehalt unterschiedlich sein kann.
Beispielsweise weiß man, dass die Verwertbarkeit (Bioverfügbarkeit) von pflanzlichem und tierischem Eiweiß unterschiedlich ist. Obwohl pflanzliches und tierisches Eiweiß den gleichen Proteinanteil haben kann, werden die Proteine doch sehr unterschiedlich gut vom Menschen aufgenommen.
Eine weitere empirisch bewiesene Tatsache zur Untermauerung der Wichtigkeit der schonenden Behandlung ist die Haltbarkeit des Weines. Warum ist die Haltbarkeit und Lagerfähigkeit bei Naturweinen ohne Verwendung von Konservierungsmitteln wie z.B. Schwefel grundsätzlich kein Problem und bei anderen Weinen undenkbar?
Mein Spruch diesbezüglich:
„in vino nulla veritas, in sulfure veritas“
Frei übersetzt, im Wein liegt nicht die Wahrheit, im Einsatz von Schwefel, liegt die Wahrheit.
Will heißen, je mehr ich den Wein manipuliere, je mehr ich ihn „schinde“, umso fragiler wird der Wein und umso mehr korrigierende und konservierende Eingriffe sind erforderlich. Ein hoher Gesamtschwefelgehalt im Wein geht mit vielen Schönungseingriffen einher.
Echte Naturweine brauchen keine Konservierungsmittel (SO2). Dies können wir mittlerweile mit langjähriger Erfahrung untermauern.
Wir haben alle unsere Weine von mittlerweile schon dreizehn Jahrgängen ohne Zugabe von Schwefel oder anderen Konservierungsmitteln erzeugt. Diese Weine strotzen noch immer von lebendiger Frische.
Wie streng man bei der Definition von Naturweinen vorgeht, sollte jedem überlassen bleiben.
Wir zeigen jedenfalls auf, dass hochwertiger, bekömmlicher, gut schmeckender (Natur)Wein vergorener Traubensaft ist und sonst nichts!!
Naturwein in diesem Sinne ist die olympische Disziplin.
Oder wie es ein Professor von der Weinbauschule Klosterneuburg einmal ausdrückte:
"Die Herstellung von puritanischem Wein ohne Schwefel ist wie Freeskiing. Wenn man es kann, macht es irrsinnig Spaß, wenn man es nicht kann, scheitert man nach wenigen Metern."
Sehr genialer Artikel der Wein wieder einmal mit einem anderen Blickwinkel betrachtet :) Frage, von wem war das Zitat aus Klosterneuburg?